Ein Leben im Konjunktiv


Wenn ich erst mal 15 bin, 
dann kauf ich mir ein Mofa. 
Dann säß' bestimmt auch kurz darauf 
ein Mädchen auf mei'm Sofa. 
Ich würde sie dann küssen, 
und sie küsste mich. 
Natürlich säh die super aus, 
ganz genau wie ich. 

Wenn ich erst mal 16 bin, 
dann hätt ich eine Clique. 
Klar, ich wäre da der Boss, 
ich wär nicht mehr der Dicke. 
Ich hätte keine Pickel mehr, 
sondern coole Schuh! 
Und der Kevin aus der 10. 
ließe mich in Ruh. 

Wenn ich erst, dann hätte ich 
und würde ganz bestimmt. 
Dann könnte ich und ließe mich 
und ich wär's, der gewinnt! 
Keiner der mir sagt, mein Junge, 
da liegst du wohl schief! 
Doch solang's noch nicht so ist, 
leb ich im Konjunktiv. 

Wär ich 18, gäb es nichts, 
was ich mir dann verkneife. 
Meine Eltern könnten mich mal 
mit ihrem Gekeife. 
Klar, die Reise um die Welt, 
die würden sie noch zahlen. 
Wahrscheinlich wär ich dann ein Künstler: 
singen oder malen. 

Bin ich erst mal 20, 
hätt ich's Abi von der Backe. 
Dann färb ich mir die Haare blond 
und kauf ne schicke Jacke. 
Und mit 'nem schwarzen Cabrio 
fährte ich so rum, 
studierte Germanistik, 
ich würd ja nicht dumm... sein! 

Wenn ich erst, dann hätte ich 
und würde ganz bestimmt. 
Dann könnte ich und ließe mich 
und ich wär's, der gewinnt! 
Keiner der mir sagt, mein Junge, 
da liegst du wohl schief! 
Doch solang's noch nicht so ist, 
leb ich im Konjunktiv. 

Bin ich erst mal 30, 
hätt ich jede Menge Kohle, 
Frauen, Autos und 'n Haus 
in einer Metropole. 
Und wenn du sagen würdest, 
es wär nur ein Klischee. 
Wär's mir dann egal, 
ich hätt'n dickes Portemonnaie. 

Mit 50 läuft's für mich ganz locker, 
hab'n riesen Job. 
Doch natürlich hätt ich dann auch 
was in meinem Kopp. 
Ich wüsste, wie's Leben läuft 
und hätte was zu sagen. 
Äh, was genau, weiß ich jetzt nicht 
– da müsst ich noch mal fragen. 

Läge ich im Bett, 
weil mich das Leben dann verließe. 
Die Blumen würden trocknen, 
weil ich sie dann nicht mehr gieße. 
Ich würde mich sehr ärgern, 
denn ich hätt noch so viel vor 
und an meinem Grab 
singt dann für mich der Männerchor: 

Wenn er erst, dann hätte er 
und würde er bestimmt. 
Dann könnte er und ließe sich 
und er wär, der gewinnt! 
Keiner der ihm jetzt noch sagt, 
Junge, du liegst schief! 
Nämlich, um genau zu sein, 
wir legen dich jetzt tief! 

Wenn ich erst, dann hätte ich 
und würde ganz bestimmt. 
Dann könnte ich und ließe mich 
und ich wär's, der gewinnt! 
Keiner der mir sagt, mein Junge, 
da liegst du wohl schief! 
Doch solang's noch nicht so ist, 
leb ich im Konjunktiv. 

 

 

 

Text & Musik: Jakob Friedrichs, Volker Schmidt-Bäumler

© 2012 SCM Hänssler-Verlag
Erschienen auf: Paradies und das